EndCommercial: Archäologie der Metropole - New York Diary III

New York sehen. Das andere. Die Veränderung. Den Verfall. Postkarten zeigen, was sehenswürdig ist - angeblich. Menschen leben aber nicht in Postkarten. Michael Bloomberg, der Bürgermeister, sagt, Abfallrecycling sei überflüssig. Deshalb hat er es abgeschafft. Und damit eine notwendige Einkommensquelle für die, die kaum genug haben. Denn mehrere Hunderttausend leben vom Pfand weggeworfener Flaschen. Es war ein soziales Versorgungssystem - ein indirektes. Jetzt werden nur noch Blechdosen recycelt - ein paar Cent für die Büchse. New York jenseits der Park Avenue. Die Stadt verstehen. Zeichen lesen. Auch die der Krise. EndCommercial versucht’s: Die spannendste Ausstellung zur Zeit, arrangiert von den Künstlern Luca Pizzaroni, Florian Böhm, Wolfgang Scheppe. Den Blick verschieben, das Beiläufige beobachten. Übersehenes sehen.

“Manche Städte sind orange, andere beige. New York ist blau. Das ist die offizielle Farbe von Wiederaufbau und Abriss”, kommentiert Luca Pizzaroni die blauen Bauplanen, die Pflaster verwundeter Architektur. Erste Hilfe, improvisierte Reparaturen, die zum Dauerzustand werden. Zigtausend Fotos haben sie geschossen. Einfache, oft kunstlose Bilder, Schnappschüsse, die Wirklichkeit abbilden und - überraschend - eine Ordnung im Improvisierten, im Chaos zeigen. Milchkisten werden zu allgegenwärtigen Multifunktionsmodulen im Straßenleben. Die Anordnung der kleinen Dinge, begreifbar durch die Veränderung der Betrachtung. “Du kannst auf das Empire State Building zoomen. Keine große Sache”, sagt Pizzaroni, “aber wenn ich so einen Kaugummi fotografiere, dann sieht er plötzlich aus wie die Oberfläche des Mondes.” In der Stadt der Autos und gelben Taxis verrotten Fahrradkadaver, werden zu Skulpturen des Verfalls. “Dieser Supermarkt ist von einer Minute auf die andere verlassen worden”, sagt Wolfgang Scheppe.”Und da oben haben wir dieses Schild, dass wir über sechs Jahre beobachtet haben. Wo wir jeden einzelnen Buchstaben haben runterfallen sehen.”

Sechs Jahre stehen die Räume leer und sehen immer noch aus, als wären sie fluchtartig verlassen worden. Und das mitten in Soho - mittlerweile eine schicke Einkaufsgegend, mit horrenden Ladenmieten. Ein paar Ecken weiter, immer noch Soho. Eine Seitenstraße des Broadway. Straßenhändler, die überhaupt keine Miete zahlen, nicht einmal eine Lizenz besitzen, verkloppen, was sie finden. Nomaden auf der Suche nach einer Nische zum Überleben. Flaschen können sie ja nicht mehr sammeln. In Bloombergs New York sollen die

Bürgersteige hübsch sauber sein. Die Stadt und der Abfall. Alles, was weg muss. Verbrauchtes und Vergangenes. Dinge, die wir nicht mehr sehen oder nicht mehr sehen wollen. “Ich bin ein Archäologe. Ich suche nach dem Unsichtbaren, all den unsichtbaren Dingen”, sagt Pizzaroni. “Es ist alles archäologisches Material, wie in einem Naturkunde Museum. Dort siehst Du wie die Ureinwohner gelebt haben, was sie gekocht haben. Die Graffitis, die sie an ihren Wänden hatten. Heute ist es dasselbe. Alles archäologisches Material für die Nachkommenden.”

New York und seine Zeichen. Böhm, Pizzaroni und Scheppe haben ihre Fotos in einem Buch zusammengefasst - eine Grammatik. Die Grammatik einer Stadt, ihres Verfalls und der Überlebensstrategien ihrer Bewohner. EndCommercial verändert die Perspektive. Der Charakter der Metropole liegt nicht in ihren Sehenswürdigkeiten. Er liegt in den Details des Alltags. Und die muss man sehen.