Lesen lernen im Buch der Stadt

“Endcommercial”: Das Bildarchiv von Böhm/Pizzaroni/Scheppe analysiert Benutzung und Improvisation als “Krisenphänomene” der Metropolen

Ein Hydrant ist ein Hydrant, eine Laterne nur eine Laterne. Ein Einkaufswagen… Halt, stimmt nicht! Der Hydrant kann als Sitzmöbel dienen, die Laterne als Pinnwand, der Einkaufswagen als “mobile home”. Darum wachsen dem hydranten bald Stacheln gegen den missbrauch und dem Einkaufswagen ein hölzernes Ersatzrad. Florian Böhm, Luca Pizzaroni und Wolfgang Scheppe interessieren sich für “Krisenphänomene”, improvisierte Strukturen die beim Überleben in der Großstadt helfen. Ihre Bildstudie “Endcommercial” (Hatje-Cantz, 544 Seiten, 39,80 Euro) fasst diese Phänomene zusammen und wird nun im ehemaligen Buchladen im Haus der Kunst als Installation präsentiert.

Seit 1997 hat das Team die Straßen von New York und Venedig “gescannt”, Erscheinungen der Metropole untersucht, die “so alltäglichsind, dass sie unsichtbar bleiben” wie die Kategorien “Polizeiabsperrung - nicht betreten” oder “Leere Zeichen”.

Da werden abgenutzte Behelfsobjekte zu sprechenden Symbolen, die auf die soziale Wirklichkeit verweisen. Das Bild eines Obdachlosen, der einen Wagen mit kaputtem Rad schiebt, erzählt davon, dass New Yorks Bürgermeister Penner in die Außenbezirke vertrieb. Weil es in Manhatten aber die einzige Möglichkeit gibt, ein paar Cent zu erbetteln, müssen sie die weite Strecke zu Fuß zurücklegen - zuviel für das Rad. Aus der akribischen Spurensuche entstand ein faszinierend vielschichtiges Foto-Archiv aus über 60.000 Bildern, in dem man lernen kann, die Stadt neu zu lesen.