Wie die Zeiten sich geändert haben! Ausgerechnet eine Kreativagentur mit Sitz in New York und München analysiert, dass das kommerzielle, fiktionalisierende Bild (also die Werbung) alle andern Bilder dominiert und das gesellschaftliche Leben bis hin zum Privaten prägt, dabei aber wirklichkeitsfremd bleibt. Stets aufs Neue versuchen darum die Produzenten von Gütern und die Werber diejenigen Codes zu knacken und für sich nutzbar zu machen, die ihre Zielgruppen selbsttätig ständig zum eigenen Vergnügen produzieren: die Technokids, die Outdoorfreaks oder die Kinder mit ihren Geheimsprachen.

So haben sich Florian Böhm, Luca Pizzaroni und Wolfgang Scheppe mit Digitalkameras auf die Socken gemacht, um empirisch die Wirklichkeit zu scannen und den abgestandenen fiktiven Bildern etwas Wahrhaftiges entgegenzustellen respektive diesen neues Futter zuzuführen, denn die Werbung nimmt ja gefrässig alle Bilder auf, die ihr reale Wirkung versprechen.

60 000 Fotos von New York sind entstanden, nachträglich wurden sie gruppiert: keine Architekturmonumente, kein Glamour, keine Bestätigung des Bilds, das man schon mit sich trägt. Die reflektierte Recherche heisst «EndCommercial®» - nach dem wirtschaftlichen Boom. Sie will dem Auge ein paar Dinge bewusst machen, die es sonst achtlos übergeht.

Man erfährt, wie Menschen mit ihren Improvisationen eine Art Grammatik des Lebens in der Grossstadt zu Zeiten der Krise generieren. Parmalat-Plastikharasse und Hydranten wandeln sie zu Stühlen um. Mit Blachen, Folien, Plastiksäcken, Netzen und Tape verkleiden sie Verkaufsstände, Parkuhren, Esswaren, Gärten und Fahrräder. Mit Inschriften auf Strassen, Mauern, Autotüren und am Leib sowie Zetteln an Ampelpfosten kommunizieren sie miteinander. Das Buch macht wie eine ethnologische Untersuchung Regelwerke menschlicher Selbstorganisation einsichtig. Und es schafft einen Link zum unbehauenen Bilderschatz, der auf der Strasse liegt. Kein Prachtband - aber ein Buch, das ohne Worte zur visuellen Lektüre unserer Umwelt animiert.