Lewis Baltz ist ein Traumzerstörer. Wer an Kalifornien denkt, der denkt an weiße Strände, urwaldartige Wälder und luftig leichte Villen im Geiste Richard Neutras, die scheinbar nur ein Ziel haben: dem Bewohner möglichst viel Ausblick nach Draußen zu gewähren, schließlich wartet dort die atemberaubende Natur, so schön, dass eine geschlossene Fassade einem Affront gleichkäme. Und was macht Baltz? Er fotografiert das, was keiner sehen will. Stellt sich auf einen Schrottplatz und hört nicht auf zu knipsen: den Berg aus Reifen und Schutt, aufgehäuft, als hätte ihn ein gigantischer Maulwurf aus dem Erdreich befördert, verstreute Ziegel und herrenlose Matratzen, verkohlte Holzbalken und halb versenkte Einkaufswagen, deren Reifen aus dem Brackwasser ragen, als wären es die Hände eines Ertrinkenden. Hässlicher Bruchstein einer Zivilgesellschaft, die sich selbst längst davongestohlen hat. Vom offiziellen Kalifornienbild also keine Spur, nur: Candlestick Point liegt gleich bei San Francisco.

Trotzdem ist die so abweisende wie großartige Werkserie über die illegale Müllkippe, die Baltz zwi- schen 1986 und 1989 schoss und die jetzt – nachdem sie lange vergriffen war – in einem sehr aufwendig gestalteten Bildband mit aufklappbaren Doppelseiten und einem tiefgehenden Essay des deutschen Philosophen Wolfgang Scheppe über die Herangehensweise des Fotografen gerade wieder veröffentlicht wurde (Candlestick Point, Lewis Baltz, Steidl, Göttingen 2011, 107 Seiten, Euro 58 Euro), kein erhobener Zeigefinger gegen die Umweltverschmut- zung. Für eine Predigt sind die Bilder viel zu still. Genauso wie sie eine geographische Verortung unmöglich machen, weil alles Persönliche penibel herausgekehrt wurde und der Hintergrund – wenn überhaupt – nur unscharf zu erkennen ist, bevor er mit dem Horizont ins weiße Nichts wegkippt, fehlt jeglicher Hinweis auf die Zeit. Das milchige Licht, in das die Aufnahmen getaucht wurden, gibt den Szenen etwas Surreales, fast Bühnenhaftes. Und plötzlich wird die Müllhalde zur Installation, der verstreute Schutt zum Ornament und die Hügelketten aus Weggeworfenem zur besonders perfiden Form der Land Art.

Baltz, der 1945 im kalifornischen Newport Beach geboren wurde und heute in Paris und Venedig lebt, hat es seinen Betrachtern noch nie einfach gemacht. Bekannt geworden durch seine Teilnahme bei der gerade zu legendären Gruppenausstellung „New Topographics“ 1975 im New Yorker Georg Eastman House, die mit Arbeiten von Robert Adams, Stephen Shore oder Bernd und Hilla Becher eine völlig neue Art der Landschaftsfotografie etablierte – nämlich eine, die zeigte, wie die Landschaft durch den Menschen verändert wurde –, blieb Baltz über die Jahrzehnte diesem Thema treu. In überwiegend schwarz-weißen Fotoserien hat er die Wandlung der Landschaft, die der Mensch erzwungen hat, dokumentiert. Obwohl dokumentieren eigentlich der falsche Ausdruck dafür ist, wie der Fotograf die Neubausiedlungen, Industrieparks und sonstigen hässlichen Randerscheinungen der postmodernen Gesellschaft aufnimmt: Er inszeniert sie vielmehr, wäscht die Motive fast aus, indem er sie vor dem weißen Nichts seltsam flach erscheinen lässt, und verortet sich dadurch selbst eher bei minimalistischen Konzeptkünstlern wie Donald Judd oder Sol Le-Witt als bei klassischen Fotografen.

Candlestick Point zeigt, wie unverfroren Lewis Baltz mit der Gattung der Landschaftsdarstellung umgeht. Schließlich drückt der Fotograf in einem Land auf den Auslöser, das selbst die eigene Natur zum Patriotismus verpflichtet: Die unendlichen Weiten der USA werden hier allzu gerne in Bildern und Filmen als prächtiges Symbol für die Freiheit eingesetzt, die der Staat seinen Bewohnern verspricht. Doch Baltz’ Bilder konterkarieren diese große Geste. Hier sind die Landstriche vermüllt, zwi- schen verrosteten Eimern und leeren Glasflaschen ist kein Platz für Pathos, der Fotograf liefert vielmehr, wie Wolfgang Scheppe schreibt, eine „mitleidlose Bestandsaufnahme der Areale am äußersten Rand der Städte. Dort, wo das Einsetzen des mythischen Orts der Landschaft einst vermutet wurde“. Die unbegrenzten Möglichkeiten enden hier recht schnell beim Müllsack.