Die leuchtend blaue Plastiktonne, die der Bergbauer in Jörg Koopmanns Almfoto statt einer Kraxe auf dem Rücken zu Tale trägt, macht jedes archaisch-romantische Gefühlt zunichte. Und dass die Spaßgesellschaft in Andrew Phelps Tafelbild ausgerechnet vor dem mächtigen Bergmassiv eine Erlebnisinsel mit künstlichem See, Sand, Palmen und Dinosaurier aufgeschüttet hat, dass man meint, in einem Ableger des brandenburgischen Tropical Island gestrandet zu sein, stört den Eindruck der idyllischen Berglandschaft nachhaltig.

Auch die Fotos von Michael Danner, Dominik Gigler, Monika Höfler, Verena Kathrein und Matthias Ziegler, deren Bilder wie die von Koopmann und Phelps in dem Fotobuch „Sight-_Seeing“ zu sehen sind, entsprechen so gar nicht den gängigen Werbemotiven: Graue, wolkenverhangene Himmel, Motive im Dämmerlicht, hässliche Zweckbauten, die aus der vom Wintersport gestressten sommerlichen Landschaft herausstechen, irritierende Details. Hätte man das nicht „schöner“ fotografieren können?

Wann hätte man sich nicht schon mal selbst dabei ertappt, dass man durch die Welt reist auf der Suche nach neuen Eindrücken und zurückkommt mit Erinnerungsfotos, die den gesehenen Postkartenmotiven oder den Abbildungen in den Coffee-Table-Bildbänden, die man zu Hause vor der Abreise durchgeblättert hat, verdammt ähnlich sind. Warum wollen wir das scheinbar perfekte Bild wiederholen? Doch was ist perfekt? Und wären wir tatsächlich enttäuscht, wenn die Urlaubserinnerungen nicht im vermeintlichen Hochglanzdesign verewigt wären?

In unseren voll digitalisierten Zeiten, in denen gephotoshopped wird, was die Technik hergibt, wird es immer schwieriger, die Welt interessant abzubilden. Diese Erfahrung machen auch immer mehr Werbeleute. Entweder ist das Motiv zu abgegriffen oder es scheint werbeuntauglich. Diesem Dilemma haben sich die Verantwortlichen der Tirol Werbung gestellt und nach einem neuen Zugang zum Genre der Landschaftsfotografie gesucht. Man wollte ein Bild finden, „das fernab von den inzwischen oft eher abschreckend wirkenden Klischees und Überhöhungen der normalen Touristikwerbung dokumentarische Ehrlichkeit und das Empfinden idealer Bergerhabenheit vereint“, wie es heißt. Dass dieses ungewöhnliche Vorhaben geglückt ist, beweist das daraus entstandene Fotobuch „Sight-_Seeing: Bildwürdigkeit und Sehenswürdigkeit“, das soeben mit dem Deutschen Fotobuchpreis ausgezeichnet wurde.

„Wir haben ein Experiment gewagt und alles auf eine Karte gesetzt“, sagt Josef Margreiter von Tirol Werbung bei der Präsentation des Bildbandes in der Galerie Jo van de Loo. Dort hat einer der beteiligten Fotografen, Andrews Phelps, derzeit eine Einzelausstellung mit Arbeiten aus dem „Sight-_Seeing“-Projekt. „Wir haben sieben Fotografen, die zur Elite der europäischen Landschaftsdokumentaristen zählen, ohne Vorgaben losgeschickt, um den Sehnsuchtsort Tirol mit der Kamera einzufangen und sie kamen zurück mit Hunderten von Bildern, die nicht den gängigen Vorstellungen entsprachen“, sagt Margreiter und schwärmt: „Dieses Projekt ist zu einer Sternstunde für uns geworden.“

Auch die Jury des Fotobuchpreises nannte das Projekt „eine unwahrscheinlich gelungene Sache, ein extrem gehaltreiches Buch. Die zum großen Teil exzellente Fotografie spricht für sich, das vertrackte Layout entpuppt sich bei angemessener Neugierde als geistreiches Arrangement, und einige fabelhafte Texte bereiten die beste Sorte Vergnügen, nämlich intelligentes.“ Ideengeber dieses intelligenten Vergnügens war der Zürcher Bildtheoretiker Wolfgang Scheppe . Scheppe, der als Philosoph, Künstler, Kurator und Marketing-Fachmann arbeitet, hat den Workshop vorbereitet, mit dem das Projekt startete, er hat die Auswahl für das Buch getroffen und mit Gero Günther und Walter Klier die Essays geschrieben.

Einige der Fotografen erzählen bei der Präsentation in der Galerie, dass sie der Auftrag, so reizvoll er war, auch vor neue Herausforderungen stellte. Andrew Phelps, geboren 1967 in Arizona, lebt seit 20 Jahren in Salzburg. Ihm ist die österreichische Landschaft mittlerweile so vertraut wie der Grand Canyon. Obwohl sich der renommierte Dokumentarfotograf einen distanzierten Blick auf die ihm umgebende Landschaft bewahrt hat, sah er seine Motive immer wieder auch unter dem Blickwinkel gängiger Werbeästhetik und konnte sich erst nach und nach davon befreien.

Sollten wir bei der Suche nach dem perfekten Landschaftbild auch tun: uns von gängiger Werbeästhetik befreien.