Wie sieht die Architektur der Zukunft aus? Sie wird fliessend sein, Grenzen öffnen und Bewegung fördern. Vor allem aber leben in ihr fröhliche Menschen. Zumindest zeigt Kazuyo Sejima solchen Optimismus in dem Film, den Wim Wenders von dem Bibliotheksgebäude gedreht hat, das sie mit ihrem Büro Sanaa für die ETH Lausanne Anfang dieses Jahres fertigstellte. Der Kitschier des Autorenfilms lässt darin einen älteren Herrn die Augen schliessen und von der Lust am Lesen schwärmen. Und die Architekten sausen mit strahlenden Kindergesichtern auf Elektro-Rollern durch die neue Bibliothekswelt.

Kazuyo Sejima ist die erste Architektin, der die Leitung der Architekturbiennale Venedig übertragen wurde. Nach einer langen Reihe von Kritikern weckte die Japanerin, die dieses Jahr mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde, die Hoffnung, von einer führenden Vertreterin der Disziplin ein Statement zum aktuellen Stand der Dinge zu erhalten. Sie gab der Biennale den Satz «People meet in Architecture» als Motto. Mit der etwas peinlichen Eigenwerbung deutet sie an, was sie darunter versteht. Nach der grossen Krise und dem Platzen der Immobilienblase von San Francisco bis Dubai sind eher weiche Themen, kleine Schritte und weit ausgreifende Spekulationen angesagt. Man überlegt im Konjunktiv, probiert aus, spielt, phantasiert.

So fragte man für den deutschen Pavillon Zeitgenossen nach ihrer Sehnsucht und reihte die postalischen Antworten zu einem Fries. Die Franzosen lassen dagegen Ideen zur Vernetzung ihrer Grossstädte als Bilderflut über die Wände flackern. Und die Australier stellen sich vor, wie Städte aufs Meer wuchern könnten. Aldo Cibic phantasiert ein Öko-Paradies als «Rethinking Happiness». Das darf nicht fehlen.

Kazuyo Sejima ist dafür bekannt, dass sie klare Strukturen schätzt und in ihren Bauten gerne Grenzen auslotet: zwischen Aussen und Innen, Schwerkraft und Leichtigkeit, Erstarrung und Bewegung. So verwundert es nicht, dass sie Positionen vorstellt, die diese Grenzen des Bauens umspielen.

Die beiden Schweizer Christian Kerez und Valerio Olgiati zeigen kristalline Strukturen. Die «Cloudscapes» von Transsolar und Tetsuo Kondo führen vor, wie Körper ständig ihre Gestalt wechseln. Man kann eine Rampe in Schlaufenform hinaufsteigen und Nebelschwaden durchschreiten. Das haben wir von Diller & Scofidio bei der Expo 02 zwar eindrücklicher erlebt. Über die Auflösung und Entstehung von Formen, über ihre Begrenztheit und unterschiedliche Dichte kann man aber auch in Venedig nachdenken.

Die Installation macht auch deutlich: Die Krise der Architektur ist die Stunde der Kunst. Noch nie waren bei einer Architekturbiennale so viele Skulpturen, Installationen und Interventionen zu sehen wie in diesem Jahr. Gleich zu Beginn ihrer Ausstellung positioniert Sejima im Arsenale eine Skulptur von Smiljan Radic und Marcela Correa. Der aufgeschnittene Felsblock soll an das Erdbeben in Chile erinnern. Weiter hinten lässt Olafur Eliasson in einem abgedunkelten Raum Wasser aus wirbelnden Schläuchen spritzen und im Licht zucken. Und im zweiten Teil der Hauptausstellung im ehemaligen italienischen Pavillon zeigt Caruso St. John aus London mit Thomas Demand eine Maquette des «Nagelhauses», das in China zum Fanal für individuelle Bürgerrechte wurde, als seine Besitzer den Abbruch durch Bauspekulanten lange Zeit verhinderten. Es soll in Zürich am Escher-Wyss-Platz als Treffpunkt nachgebaut werden.

Die Kunst muss aber auch aushelfen, wenn Architekten Gefühle vermitteln wollen, die Modelle und Pläne kaum auslösen. Antón García-Abril aus Spanien legt zwei riesige Träger im Betonlook übereinander, die eine fragile Balance andeuten, und kann drumherum Modelle verschiedener Projekte zeigen. So auch von seinem Wohnhaus, das als eine komplexe Stapelung von Trägerformen entworfen ist und sich für eine Feier des spanischen WM-Siegs eignet, wie ein Video vorführt.

Die Präsenz der Kunst lockert den Ausstellungs-Parcours auf. Wer hat schon Lust, andauernd Pläne zu studieren und Grafiken zu lesen? Überdies trägt Sejima damit der Mischung von Disziplinen Rechnung, die längst gang und gäbe ist. Problematisch wird es jedoch, wenn der Abstand zum Dialog nicht vorhanden ist. Die Klanginstallation der kanadischen Künstlerin Janett Cardiff aus 40 Lautsprechern macht den Klang zum Raum. Die Aufgabe der Architektur wäre es, einen Raum für den Klang zu entwerfen.

Hier läge vermutlich auch eine Verbindung zum Motto «People meet in Architecture». Dass Menschen sich in Gebäuden treffen, ist selbst im Zeitalter vereinsamter Computerfreaks trivial. Entscheidend wäre es, zu fragen, wie Architektur das fördern und gestalten kann.

Dass dabei häufig Ideologien eine Rolle spielen, machen in Venedig zwei Beiträge deutlich, die sonst nichts miteinander zu tun haben. Der Architekturhistoriker Wolfgang Scheppe präsentiert im britischen Pavillon das Archiv eines ehemaligen Billettkontrolleurs, der über Jahrzehnte fotografierte, wie sich das Leben Venedigs verändert hat. Und Rem Koolhaas, der dieses Jahr mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk geehrt wird, fragt mit vielen Beispielen, nach welchen Kriterien wir Gebäude erhalten. Er schlägt vor, auch die verhassten Bauten aus den sechziger Jahren neu zu nutzen und als Zeugnisse zu bewahren, statt sie zu zerstören. Dann können Menschen Bauten sogar verändern.