Venedig global, Ein Buch als Infotainment
Thomas Wiegand / Kassleler Fotoforum, Germany / 0|9|2010
Venedig ist nur eine Touristenattraktion, sondern kann auch Beispiel für alle möglichen anderen Phänomene sein. Der in Venedig lehrende, auf den Umgang mit und die Wirkung von Bildern spezialisierte Philosoph Wolfgang Scheppe hat sich im Rahmen eines seiner Hochschulseminare mit den Auswirkungen globaler Probleme in der Stadt beschäftigt: Arbeitslosigkeit, Infrastrukturen, produzierendes Gewerbe, Flüchtlinge, Kriminalität, Wohnverhältnisse, selbstverständlich Fremdenverkehr in allen möglichen Schattierungen und und und…
Als Ergebnis der Forschung liegt jetzt ein mit Fotos, Infografiken, Tabellen und Texten opulent ausgestattetes, zweibändig ausuferndes Handbuch vor, das alles bietet, nur eines nicht: ein Stadtportrait der Lagunenstadt. Oder doch? Jedenfalls werden Kunst- und Architekturfreunde auf der Suche nach einem schönen Coffee-table-Book zwar Gewicht und Umfang zu würdigen wissen, aber vor allem angesichts der überbordenden Fülle an interessanten bis sinnlosen Informationen aus dem Staunen nicht mehr herauskommen.
Auf der Suche nach der Quersumme dessen, was eine Stadt ausmachen könnte, war Scheppe schon an dem von Parr und Badger durch die Aufnahme in ihren Kanon geadelten Fotobuch „Endcommercial“ (2002) über New York beteiligt. Venedig dient nunmehr als Beispiel für die ganze Welt, als Kosmos globaler Möglichkeiten, gesucht und gefunden in einer einzigen Stadt.
Ist das ein Fotobuch? Vielleicht. Am Rande waren auch Profis wie Jörg Koopmann und Armin Smailovic beteiligt, aber das fällt weder positiv noch negativ ins Gewicht. Der Fluss der überwiegend von Scheppe selbst aufgenommenen Fotos reißt nie ab, aber ohne, dass das Buch irgendwann zu einem reinen Bildband werden würde. Die Fotos sind wichtige Bausteine für die visuelle Argumentation, dominieren aber das Gesamtwerk nicht, dessen Zielgruppe schwer zu bestimmen ist. Jedenfalls hat das Buch zwei Auszeichnungen als eine der schönsten Neuerscheinungen des Jahres erhalten, und so entspricht es in seiner Ästhetik, Fülle und Rätselhaftigkeit in idealer Weise seinem Untersuchungsgegenstand.