Eine österreichische Touristin, so war kürzlich zu lesen, hat 1.000 Euro Strafe zahlen müssen, weil sie einem der fahrenden, besser: laufenden Händler prinzipiell schwarzer Hautfarbe, wie sie in Italien die Touristenorte bevölkern, ein Louis-Vuitton-Imitat abgekauft hat. Passiert ist das Ganze am Strand von Jesolo. Längst ist klar, dass der Staat und die meist aus dem Senegal kommenden Kundenfänger in konzertierter Aktion einander verbunden sind. Auch wenn sie in Windeseile ihre Ware zusammenkratzen, sobald am Horizont ein Carabiniero auftaucht, wissen die Immigranten, dass ihnen nichts passieren wird, weil die Republik den Aufruhr, der sich ergäbe, griffe sie wirklich durch, scheut. Man hat sich arrangiert, und die Illegalität wird nun an die Touristen weiter geleitet, die die Sanktionen entgegen nehmen und zugeben müssen, dass sie – und das ist das Programm - uninformiert waren.

Letztes Jahr gab es in der Fondazione Bevilacqua eine instruktive Ausstellung samt voluminösem zweibändigen Katalog, die diesen Mechanismus zur Diskussion stellte. Wolfgang Scheppe, Professor an der Fakultät für Kunst und Design der Universität Venedig, hat zusammen mit seinen Studenten die Lagunenstadt – und ihre Peripherie, zu der Jesolo gehört - in Hinblick auf die Menschenmengen untersucht, die sich hier ihr Stelldichein geben. Venedig ist, was Marc Augé einen „Non-Lieux“ nennt, einen Ort der Ortsunabhängigkeit, und er wird bevölkert von zwei flottierenden Mengen: Den Touristen und den Migranten.

Die einen kommen freiwillig, die anderen sind gezwungen zu kommen. Diese anderen kommen jedenfalls, weil die einen kommen, und die Touristenmenge bietet alles, was die Migrantenmenge braucht: Anonymität und dadurch die Möglichkeit abzutauchen; damit verbunden einen gewisser Schutz; vor allem bietet sie Reichtum, Geld und die mit der Fremdheit verbundene Bereitschaft, dieses Geld relativ wahllos auszugeben.

Giuseppi Volpi, Finanzminister unter Mussolini und später Begründer der Filmfestspiele von Venedig – noch heute geht die Coppa Volpi als Trophäe an den besten Schauspieler des Festivals –, war auch für den Bau der Brücke verantwortlich, die hinüber zum Festland geht. Erst die Brücke hat paradoxerweise die Insel zur Insel gemacht: Erst jetzt sind die Funktionen getrennt, und die Altstadt ist zum Museum geworden mit umfassendem touristischen Dienstleistungsangebot aber längst ohne die Identität eines integralen Lebens. Mestre ist die Schlafabteilung Venedigs, Porto Marghera die Stätte industrieller Wertschöpfung. Einheimische, also Ortsfeste, und Reisende, also Bewegliche, sind vollständig getrennt; letztere existieren für erstere, um an ihnen zu verdienen.

2005 hatte sie Serenissima 12,4 Millionen Touristen. Das war Platz zwei nach London (13,8 Mio.). Allerdings kamen in London 184 Touristen auf 100 Einwohner, während es in Venedig deren 4.259 waren. London ist nach wie vor eine Metropole, Venedig ist eine Migropole geworden. Die Erinnerungsgebühr daran beträgt 1.000 Euro.